Lange Zeit wähnten sich in der Schweiz die Arbeitnehmenden am kürzeren Hebel, doch mit der Coronapandemie hat der Wind gedreht. Der Fachkräftemangel, von dem inzwischen fast alle Branchen betroffen sind, gibt den Angestellten mehr Verhandlungsmacht und zwingt die Betriebe, sich attraktiver zu machen – speziell in der Hotellerie und Gastronomie.
Ja wo sind denn plötzlich all diese Leute hin? Zum Ende der Pandemie ist diese Frage samt ungläubigem Unterton in mancher Branche ziemlich unmittelbar aufgekommen. Inzwischen stellt sie sich die gesamte Schweizer Wirtschaft. Landauf, landab suchen kleine und grosse Unternehmen händeringend Mitarbeitende, Stellen bleiben zuweilen monatelang ausgeschrieben und unbesetzt. Dabei war es doch noch bis vor Kurzem das Gespenst der Arbeitslosigkeit, das von der Gesellschaft gefürchtet wurde. Der Wind hat um 180 Grad gedreht – und das irritierend schnell.
Die Pandemie als Katalysator
Was ist da passiert? Die Frage geht an Tabea Kaderli, Ökonomin beim Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS in Bern, das sich mit der Thematik wissenschaftlich auseinandersetzt. Sie sagt: «Der Fachkräftemangel ist nicht neu. Er war schon zu Beginn der 2000er- Jahre da und hat sich bei diversen Berufsgruppen in den letzten Jahren verstärkt. Die Pandemie hat die Entwicklung abrupt unterbrochen, mit der anschliessenden Erholung hat sie dann umso mehr Fahrt aufgenommen.» Neben dem Jahrhundertereignis Corona, das offensichtlich als Katalysator gewirkt hat, sieht
Ökonomin Kaderli drei weitere Gründe, die das Phänomen des Personalmangels langsamer, dafür aber kontinuierlich vorantreiben: Demografie: Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer (1946 bis 1964) gehen in Rente. Diese gut ausgebildeten Menschen gilt es zu ersetzen. Erschwerend kommt dazu, dass es jüngere Generationen nicht unbedingt in die entbehrungsreiche Branche zieht.
Teilzeitarbeit
Immer mehr Leute arbeiten Teilzeit. Hier gehen individuell zwar nur wenige, in der Summe aber doch sehr viele Arbeitsstunden verloren, die kompensiert werden müssen.
Technologischer Fortschritt
Die vielen neuen digitalen Möglichkeiten schaffen permanent Innovationen, die in vielen Branchen neue Berufe hervorbringen. Für diese Arbeitsstellen müssen aber zuerst neue Personen ausgebildet werden. Es kommt also zu schmerzhaften Verzögerungen.
Zahl der Lernenden ist rückläufig
Der Fachkräftemangel trifft nicht alle gleich. Besonders ausgeprägt ist er nicht nur in der Hotellerie und der Gastronomie, sondern auch im Bereich der Informatik, spezifisch in der Softwareentwicklung und bei den Ingenieuren. Und im von Corona belasteten Gesundheitswesen fehlt es inzwischen nicht mehr nur an den hoch qualifizierten Spezialisten, sondern auch am Pflegepersonal – was nicht zuletzt auf die seit längerer Zeit prekären Arbeitsbedingungen in diesem Sektor zurückzuführen ist.